Institut21

Wer sind wir und was wollen wir?

 

Das Institut21 entwickelte sich aus Einzelprojekten. In einer Kooperation zwischen soziokulturellen Trägern (u.a. Frecher Spatz e.V.; Quartiersmanagement Moabit West; Medienwerkstatt Neubrandenburg; Gangway e.V.; SOS Kinderdorf) und freien Mitarbeitern aus der Film und Medienindustrie (Regisseure, Kameramänner, Maskenbildner, Cutter, Stuntman, Webdesigner, Grafiker, Hörspielautoren) wurden Filmprojekte mit Teilnehmern entwickelt, die aus schwierigen sozialen Randgruppen stammen. Die Teilnehmer bekamen so die Möglichkeit, ihre eigene Geschichte in einem Film zu verarbeiten, wobei wir auch schwierige Themen direkt und tabulos ansprechen (Jugendkriminalität, Graffiti, Drogen, Sex).

Um diese Arbeit zu bündeln, tritt das Institut21 seit August 2005 als eigenständiges Projekt innerhalb der Vereinsaktivitäten des Frechen Spatz e.V. auf. Der Verein hat bisher Filmprojekte mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt und sieht im Institut21 größere Möglichkeiten, diese Arbeit zu intensivieren. Der Freche Spatz erhält über das Quartiersmanagement eine geringe Anschubfinanzierung für die Entwicklung des Institut21, ein Zeichen dafür, dass wir mit unserer Idee auf großes Interesse bei den Anwohnern gestoßen sind.

Im Laufe des Jahres 2006 ist die Gründung einer Stiftung geplant. Sie soll den finanziellen Rahmen dafür schaffen, um dem Institut21 an einem Ort - dem sozialen Brennpunkt Moabit West - eine kontinuierliche Arbeit zu ermöglichen, das heißt, eine dauerhafte Kooperation zwischen Bewohnern und freischaffenden Film- und Medienkünstlern.

Das Fernziel ist eine regelmäßige Produktion von filmischen Werken über den Moabiter Kiez. Es wird eine Sammlung dieser Werke zu einem Archiv auf einem einheitlichen Trägermaterial (DVD) zusammengestellt, um so ein mosaikartiges Bild des Lebens der Bewohner eines Berliner Bezirks am untersten Rand der sozialen Skala zu Beginn der Jahrtausendwende festzuhalten.

 

Was tun wir?

In den zu produzierenden Werken wird den Bewohnern Moabits die Möglichkeit geboten, ihre eigenen Geschichten, sowie ihre täglichen Schwierigkeiten und Probleme am sozialen Rand aufzuarbeiten und mit Unterstützung eines professionellen Filmemachers ( Paten ) in einer ihm angemessenen Form zu erzählen. Die Themen sind dabei so vielfältig, wie sie die Bewohner eines Viertels mit einem hohen Anteil an Migranten anbieten.

Viele Teilnehmer konnten feststellen, dass ihre eigene Geschichte bei allen Brüchen und Verletzungen wichtig und sinnvoll ist. Sie haben etwas mitzuteilen und sind in der Lage in der Zusammenarbeit mit unterstützenden Profis es auf eine ansprechende Weise zu gestalten. Es ist immer auch ein Stück Würde, die wir den Teilnehmern bei ihrer Arbeit zurückgeben, durch den gegenseitigen Respekt und der Achtung vor der persönlichen Geschichte. Diese Erfahrungen wurden durch öffentliche Vorführungen (Premierenfeiern, Festivalauftritte, z.T. mit Preisen) verstärkt. Ein fertiges Werk einem größeren Publikum vorzuführen hat bei vielen zu einem beachtlichen Selbstbewusstseinsschub geführt. Die Präsentationen gehören also konzeptionell mit zum Programm der fertig gestellten Werke. Der Stolz, oft eine überwältigende Freude über das geleistete ich habe meinen eigenen Film über meine eigene Geschichte erzählt ist immer der letzte krönende Abschluss des Projektes.

Wichtig und nicht zu unterschätzen: für das Publikum bedeuten Vorführungen dieser speziellen Filme die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit schwierigen Themen. Lange Diskussionen folgen den Vorführungen. Es kann daher auch mit Selbstbewusstsein darauf hingewiesen werden, dass diese Filme nicht nur einen Selbstzweck haben, sondern dass sie gesellschaftliche Themen ansprechen und an die Öffentlichkeit bringen, die im Kino oder Fernsehmarkt nicht mehr quotenfähig sind.

Für die Teilnehmer bedeutet diese Arbeit auch die Möglichkeit, den suchtartigen Kreislauf des Medienkonsums zu durchbrechen. Vielen wurde erst während der Arbeit klar, dass man Filme auch selber gestalten kann und nicht auf den reinen Konsum angewiesen ist. Welche Bedeutung über den Bezirk hinaus unsere Arbeit hat, bekommen wir immer dann mit, wenn Fernsehsender ganz plötzlich und ganz schnell ein großes Interesse an unserem Material haben. Etwa wenn zwei brennende Autos in Moabit die Rassenunruhen in Paris kopieren.

 

Mit wem arbeiten wir?

Das Projekt Insitut21 spricht alle Bewohner Moabits sowohl zur Teilnahme an Filmprojekten, als auch an einer Mitarbeit in technischen und organisatorischen Arbeiten im Institut21 an. Die Konzentration liegt aber auf denen, die es am nötigsten haben: die schwierigen Biographien, die Schizophrenen, Alkoholiker, Arbeitslose, perspektivlose Migrantenkinder und -jugendliche.

Eine Basis bilden sicher bestehende Vereine und Institutionen, mit denen wir schon jetzt eng kooperieren (QM Moabit West; Jugendzentrum KuBu; Gangway; Zubmarine, ein Jugendmusikprojekt des Frecher Spatz e.V.). über diese Kooperationen erreichen wir vor allem Jugendliche, die sich ungern von Unbekannten zu derartigen Projekte motivieren lassen. Wir greifen auf bekannte, verlässliche Strukturen zu, die das Erreichen von Vertrauen zu sozial benachteiligten Menschen erleichtern. Ein vorhandenes Netzwerk erreicht u.a. einen größeren Anteil von unterschiedlichen Moabitern. Z.T. können sich die Kooperationspartner auch in ganz praktischen Dingen unterstützen und ergänzen: Technik oder Flyerverteilung muss nicht selbst organisiert werden, sondern kann gegenseitig ausgeliehen werden. So lassen sich vielfach Synergieeffekte erzielen und den Aufwand für einzelne Projekte reduzieren.

Auf einer zweiten Ebene wird es vor allem durch die Präsentation unserer Arbeiten zu ungewöhnlichen Zusammenarbeiten kommen. So wurden zwei unserer Filme in leer stehenden Fabriken im Moabiter Westen vor hunderten Zuschauern präsentiert, eine Videoinstallation fand in einem portugiesischen Cafe in der Beusselstraße statt. Eine ähnliche Zusammenarbeit ist für ein großes Projekt über Moabiter Musiker geplant. Dort sollen in 12 Installationen 12 Moabiter Musiker und Musikgruppen vorgestellt werden: u.a. ein Chor, ein Orchester, eine portugiesische Fadosängerin, die Jugendband Reziproke, eine türkische Sazgruppe, ein Amerikaner, der italienische Arien singt. Die Installationen werden an 12 Orten in Moabit aufgebaut, u.a. in der Reformationskirche in der Beusselstraße, die außerdem als Ort für das Abschlusskonzert mit allen beteiligten Musikern dienen soll. Die Kirchengemeinde hat bereits großes Interesse signalisiert.

 

Wo arbeiten wir?

Das Zentrum unserer Arbeit ist der soziale Brennpunkt Moabit West, vorerst in den Vereinsräumen des Frecher Spatz, die sog. VIP Lounge, in der Wittstocker Straße 26. Dies ist zunächst die geographische Einheit, von der wir ausgehen. Der Ort ist sozusagen unser Experimentierfeld, ein Brennglas, unter dem wir bestehende soziale Defizite beobachten und über sie erzählen. Die Initiatoren wohnen und arbeiten in Moabit und kennen deshalb die sozialen Bedürfnisse und Probleme vor Ort sehr gut.

Wir nutzen dabei digitale Technik, mit der jeder seinen eigenen Film, seine Website oder CD Rom herstellen kann. Der Zustand des Fernsehens, öffentlich rechtlich oder privat ist bei dem momentanen Programmangebot abgehoben von den eigentlichen Alltagsproblemen in einem Kiez am sozialen Rand der Gesellschaft. Das Institut will auch das Leben in seiner Vielschichtigkeit, seiner Tragik, seinen Abgründen und seinem Witz erzählen, ohne menschliche Schicksale als Futter für eine zynische Quotenmaschinezu missbrauchen.

Durch unsere Arbeit mit Jugendlichen, Gefangenen, Alkoholikern, Schizophrenen wurde uns klar, dass das Medium Film und seine neuen digitalen Vettern Möglichkeiten bieten, auch diesen Menschen eine Stimme zu geben. Viele haben schon als Teenager Dinge erlebt, die es wert und sogar wichtig sind erzählt zu werden.

Im Laufe des nächsten Jahres, spätestens im Frühjahr 2007 planen wir den Bezug eines zentralen Ortes, zum Beispiel einer ehemaligen Fabrikhalle an der Turmstraße, die sowohl zu einer Begegnungsstätte zwischen den Bewohnern und den Künstlern wird, in der aber auch alle Technik untergebracht wird, die zu der Herstellung von Medien notwendig ist, die durch die technische Entwicklung aber mittlerweile erschwinglich geworden ist. Hier soll es möglichst auch einen größeren Präsentationsort (Theater-, Kinosaal, Aula etc.) geben.

 

Was können wir?

So kompliziert und dramatisch die Situation für Menschen vom gesellschaftlichen Rand auch sein mag, in unserer Zusammenarbeit stellen wir immer wieder fest, dass es eine gemeinsame Basis gibt, auf der wir miteinander kommunizieren, zusammen arbeiten, und dabei eine gute Zeit haben. Die unbedingte Grundlage dieser Zusammenarbeit über soziale Grenzen hinweg gegenseitiges Vertrauen und Respekt. Wir vertrauen auch denen, die für schwere kriminelle Taten schon mit 16 im Gefängnis sitzen. Wir nehmen sie so wie sie sind, ohne Vorurteile, ohne Stigmatisierung. Gleichzeitig vertrauen sie auch uns, spüren eine handwerkliche Sicherheit in unserem Fach, auf der wir aufbauen können und die ihnen hilft, das eigentliche Ziel zu erreichen, nämlich ihre eigene Geschichte, mit all ihren Brüchen umzusetzen in ein filmisches Werk.

Der Abschluss aller Projekte ist eine öffentliche Vorführung, die immer wieder wie kleine Wunder waren und sein werden: wenn die Mutter die Geschichte ihres erwachsenen Sohnes auf der Leinwand sieht und ihn unter Tränen umarmt, die junge Türkin, die für einen Abend zur Ghettoqueen wird und von allen Anwesenden wie eine Diva gefeiert wird, der 19 jährige ehemalige Häftling, der sich nach der Vorführung seines Films auf Festivals mit bekannten Fernsehschauspielern betrinkt und mit ihnen über die Arbeit eines Schauspielers fachsimpelt; den Ruf, den derselbe Junge in der Familie  abgestempelt als 16 jähriger Krimineller  plötzlich bekommt, wenn die Kassette mit seinem Film herumgereicht wird. All dies darf nicht vergessen machen, dass ein Film eine Aussage transportiert, dass unsere Werke Sprachrohr der Vergessenen und oft auch abgeschobenen sind. Dabei haben sie sehr viel zu erzählen!

Dies ist auch der Punkt, an der wir mit dem Institut21 unsere Kontakte zu professionellen Mitarbeitern der Film -, Medien und Computerbranche selbstbewusst vertreten können. Es gibt etwas zu erzählen, es macht Sinn! Dies ist der Gegenwert zu dem kreativen Potential, was die Künstler mitbringen: von den Autoren, die mit Texten arbeiten, über die Darstellenden Künstler wie Sänger, Tänzer, Schauspieler, zu den technisch Fachleuten: Kamera, Ton, Schnitt, IT; die organisatorischen Fachleute: Aufnahmeleiter, Produktionsleiter bis zu den auch psychologisch geschulten Regisseuren.

 

Welchen Nutzen bewirken wir?

Den vom Institut21 hergestellten Werken ist gemein, dass sie von ihren Darstellern im Prinzip selber produziert werden. Durch die kreative Arbeit wird ein enormer emanzipatorischer Impuls freigesetzt. Wer seine Existenz und Umwelt einmal fiktionalisierend oder dokumentarisch in den Blick genommen hat, macht einen ersten Schritt hin auf eine mögliche Veränderung seiner Verhältnisse und beginnt, sein Leben aus einer anderen Perspektive zu sehen. Es gibt mehrere Fälle, in denen Teilnehmer die Arbeit an einem eigenen Werk als Chance genutzt haben, um sich persönlich weiter zu entwickeln (Ausbildung, Drogenentzug, Entkriminalisierung).

Wir reagieren auf eine Situation, in der in den neuen Bundesländer ebenso wie in den Ballungsgebieten des Westens ein Heer von Verlierern, Frustrierten und Verängstigten versucht, mit den Widersprüchen des Lebens in einer neuen Welt klar zu kommen. Durch unsere bisherige Arbeit mit Jugendlichen, Gefangenen, Alkoholikern, Schizophrenen wurde klar, dass das Medium Film und seine neuen digitalen Vettern Möglichkeiten bieten, auch diesen Menschen eine Stimme zu geben. In unseren Workshops erfahren wir, wie schwierige Jugendliche bei der Frage nach Themen ansatzlos zu erzählen beginnen, was ihnen auf den Nögeln brennt: zögerlich, zweifelnd, ob das jemanden interessiert, schweigend am Anfang vor allem die, die am Ende mit eindrucksvollen, oft sehr persönlichen und hochdramatischen Geschichten kommen.

 

Kontakt:

Rolf Teigler